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Lesezeichen [ Kontakt Info QR-Code Geschenkideen ]Fr 6 Okt 2017 18:37:17


 Café BilderBuch.Berlin.Pressespiegel.
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Biographieberatung
Schöneberger Menschen in Cafés und Buddha-Häusern

  Es ist mit Bodenfrost zu rechnen, doch in der Akazienstraße ist das noch lange kein Grund, die Bistrotische nicht weiterhin nach draußen zu stellen. Am späten Vormittag sitzen Gestalten, die in dicke Anoraks gehüllt sind, vor ihrem Milchkaffee und blinzeln in die Sonne. Man spürt die Anstrengung, den Sommer möglichst lange, möglichst ewig nachwehen zu lassen, und mit ihm diese gewisse Leichtigkeit: einmal rasch mit der Vespa vorbeirauschen und sich auf einen Espresso leger am Bürgersteig niederlassen und sich sonst weiter keine Gedanken machen. Zweifellos gibt es nirgendwo in Berlin eine größere Vespa-Dichte als hier, und auch die Zahl der Frühstückscafés mit Straßenausschank ist bemerkenswert.

  Aber irgend etwas stimmt nicht. Einem zweiten Blick bleibt nicht verborgen, daß es nur ein ganz bestimmter Typus ist, der an der Italien-Simulation teilnimmt. Männer in den Vierzigern zum Beispiel, die allein an ihren Tischen sitzen und sich verdrossen in ihre Zeitungen eingraben. Oder Frauen im intensiven Unter-vier-Augen-Gespräch. Oder Anzugträger, die ihren Laptop vor sich neben das Pellegrino-Wasser gestellt haben. Oder Paare, die stumm nebeneinandersitzen und Passanten beobachten. Junge Leute um die Zwanzig findet man hier ebensowenig wie ältere, wie Handwerker, Sozialhilfeempfänger oder Ausländer - all jene Menschen also, die nur wenige Meter weiter, wo die Akazienstraße am Kaiser-Wilhelm-Platz auf die Hauptstraße trifft, die Mehrheit stellen. Eine unsichtbare Grenze sorgt dafür, daß keinerlei Vermischung stattfindet mit dieser Zone von Karstadt, Schnäppchen-Passage und türkischen Lebensmittelläden, wo die Leute offenbar bloß von ihren Geschäften und dem ganz gewöhnlichen Durchwursteln angetrieben werden. In der Akazienstraße scheint es dagegen nicht einfach ums Leben zu gehen, sondern um ein sorgsam ausstaffiertes Bild desselben: um das Projekt einer Generation, deren zeitlichen Horizont die in den Lokalen gespielte Musik abstecken mag, viel Van Morrison und etwas Bob Dylan. "Everybody must get stoned."

  Hier in der Mitte Schönebergs, im Zentrum des alten West-Berlin, ist man über den Ehrgeiz, bei jeder ästhetischen oder popkulturellen Avantgarde mit dabeizusein, längst hinaus; man schätzt die Stabilität von Schusterläden, Strumpfboutiquen und Tapetengeschäften und erfreut sich ansonsten an den Vorteilen fortgeschrittener Urbanität. Der Kenner findet hier alles, was er braucht: sämtliche französische Käsesorten und den "Rioja-Weinspezialisten". Von daher steht einem quasimediterranen Leben inmitten der rauhen Stadt nichts im Wege.

  Doch das "dolce far niente" ist offenkundig nicht der einzige Fixpunkt, an dem sich das Generationenprojekt der Akazienstraße ausrichtet. In die Espresso-Düfte mischen sich unverkennbar Gerüche von Räucherstäbchen. Eine markante Fülle von Buchläden, die "Dharma" oder "Traumvogel" heißen, Yoga-Zentren, Aikido-Schulen und Fachgeschäften für indische Batik konzentriert sich auf den wenigen hundert Metern. Auch neutralere Läden, Schmuckgeschäfte oder Spezialitätenrestaurants, verzichten nicht auf die Buddha-Statue im Schaufenster. Im Akazienhof wehen hinter dem Buddha-Haus tibetische Gebetsfahnen. Und an den Laternenpfosten hängen keine politischen Parolen, sondern Aufrufe zu Entspannung und Meditation.

  Eine Frau, die einen einschlägigen Kurs anbietet, schreibt, sie befasse "sich seit 1968 mit Wegen zur psychologischen und politischen Befreiung und seit 1977 mit dem Buddhismus"; sie verweist auf ihre "kulturkritischen und feministischen Ansätze". So glätten sich die Lebensläufe zu einer im nachhinein zwanglos wirkenden Ganzheit. Das verrät Training und einen hohen Grad an Bewußtheit. Eine "Biographiewerkstatt" bietet "Weiterbildung in professioneller Biographieberatung" an. Dabei geht es um das Schreiben, wohl aber auch um das Leben selbst. "Zum Glück an fünf Tagen. Ja, warum denn eigentlich nicht", lockt ein "Kreativ-Intensiv-Workshop", der einem dabei hilft, die "eigentliche und wahre Lebens-Aufgabe zu erkennen".

  Man spürt mit einemmal, wieviel Mühe die Leichtigkeit gekostet haben mag. Im Café BilderBuch bietet das zusammengewürfelte Mobiliar aus Fünfziger-Jahre-Stühlen, tiefen Sofas und Stehlampen, mit Schwarzwalduhr und Comic-Ente als Ironiesignalen mittendrin, ein Sinnbild dieser vermeintlich zufälligen, in Wirklichkeit akkurat geplanten Art, mit dem lebensgeschichtlichen Material umzugehen. Die Inhaberin des Cafés hat früher in der pharmazeutischen Industrie und als Entwicklungshelferin in Thailand gearbeitet. Nun hat sie einen Psychothriller geschrieben, der in ihrem Café spielt, mit einem Helden, der nach einem abgebrochenen Psychologiestudium keine neue Orientierung findet, einer Lebensgefährtin, die ihn verläßt und ihr Glück in einer Sekte sucht, und einem humanistischen Psychologen, der mit einem Atemschemel Lebenswege verändert.

  Jeder einzelne muß halt sehen, wo er bleibt, muß die verlorengegangene Eindeutigkeit eines festen Rahmens für sich kompensieren. Mehrmals täglich läuten ohrenbetäubend die Glocken der gegenüber dem Dharma-Buchladen gelegenen evangelischen Apostel-Paulus-Kirche. Auch die alten Mächte geben den Kampf nicht auf und bringen sich vernehmlich in Erinnerung. -- MARK SIEMONS

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 21. Oktober 2004, S. 33.

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Der Inhalt dieser Seite wurde am 22.05.2016 um 15.58 Uhr aktualisiert.
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